Der dritte Sonntag eines Jahres
Von Christian Lankenau
. 76. Boßeltour der Hermann-Schröder-Riege
- Boßeltour – Hermann Schröder Riege – 21.01.2024
Der dritte Sonntag eines Jahres – bei vielen im Kalender markiert – das Event des Jahres – die Boßeltour der Hermann-Schröder-Riege – in 2024 fand Sie zum 76. Mal statt, einzig während der Pandemie gab es eine Zwangspause. Seit 1946 wird geboßelt, und wie.
Um 7:45 Uhr treffen sich mit Frischlingen, Boßlern, Meistern (dazu später mehr) Männer verschiedener Couleur, im Alter von 20 bis weit in die 80er, mit einem geeinten Ziel an der Fähre Vegesack – bei eisigen Temperaturen begrüßen sich die Männer, von denen sich ein Teil nur dieses eine Mal im Jahr sieht. Die Wiedersehens- und die Vorfreude ist groß. Jens Bartnick muss kurz erklären, warum er die Taufe seines ersten Enkelkinds der Boßeltour vorzieht, und ihm wird schließlich verziehen, als klar wird, dass das Essen mit der Familie ausfallen muss, damit er die Boßelgesellschaft beim Essen trifft (ist ja auch Familie). Hört, hört!
Die Fähre setzt über Richtung Lemwerder, kurz die Oligarchen Yacht bestaunt, der Bus ist pünktlich. Die ersten Getränkedosen werden geöffnet, das nächste Highlight steht an. Die Begrüßungsansprache von Cheforganisator Peter Kuleßa, der wie immer perfekt vorbereitet ist, die Boßelfreunde willkommen heißt und die Mannschaftskapitäne benennt. Eine Ehre und Verantwortung für alle, die dieses Amt von Peter bekommen. Es werden 6 Teams sein und jeder fragt sich sogleich, in welchem Team er wohl landet. Aus zwei Lostöpfen dürfen die Kapitäne ziehen und anschließend ihre Teams verlesen. Es wird geflachst und schon gerechnet, wo sind die Favoriten. Alle wollen Thomas Mönks im Team, aber es gibt eben nur einen Thomas Mönks. Auch wenn die Kapitäne alles versuchen.
In Altmoorhausen angekommen werden die Mitboßler vom der anderen Weserseite begrüßt und in die Teams aufgenommen. Nach den obligatorischen Teamfotos und dem ersten Schnaps wird die Reihenfolge in den Teams festgelegt. „Wer ist die 1, Du machst die 3, wenn Du als 5 boßelst, sind wir hinten raus stark“. Boßeln ist eine Wissenschaft für sich!
6 Teams, 5 Spiele, immer dieselbe Strecke, wo sind die Wechselpunkte. Insgesamt werden 12 Kilometer gelaufen und viele kennen die Strecke und die neuralgischen Punkte.
Die Strecke wurde durch die Organisatoren Peter, Andreas und Jens für gut befunden und vorbereitet. Nun fragen sich alle: Wo ist die Eiskante, wo ist Morast, wo fällt die Straße bzw. der Weg zur einen oder anderen Seite ab, wird in der Mitte, wird rechts oder links geboßelt. Wer boßelt in den Graben, wer schafft es, das Sportgerät optimal in die Kurve zu legen, wer boßelt mit Kraft, wer mit Finesse? „Wahrschau!!“ tönt es über die Strecke, wenn die Mannschaftskollegen oder die gegnerische Mannschaft der Kugel im Weg stehen. „Du mußt holen“ – „Muss ich?“ – „Ja“ – „Schoot!“ – die 2 einer Mannschaft hat es nicht geschafft, die Kugel der 1 der anderen Mannschaft zu erreichen. Der sportliche Ehrgeiz bei allen Beteiligten ist mit den Händen zu greifen.
Nils hat seit Jahren keine Goldmedaille für seinen Boßelaltar im Keller gewonnen und will es heute allen zeigen, Christian ist gehandicapt und boßelt mit links, Peter setzt die Kugel perfekt in die richtige Bahn, Kalle macht Sprüche und weicht den Kugeln aus, Andreas läuft mit einem solchen Tempo an, dass man sich bei dem eisigen Boden wirklich Sorgen machen muss, ob er oder die Kugel weiterlaufen. Die ersten Teams erreichen die 90 Grad-Straßenecke, und wie jedes Jahr ist unklar, wo die Kugel aufsetzen muss, um einen Schoot zu vermeiden. Die Kapitäne diskutieren die Regeln, einigen sich (nicht) und manches wird bis heute diskutiert…
Es ist herrlich – wie eigentlich immer.
Jeder Streckenabschnitt hat seine Besonderheiten – die Boßler nähern sich der Hütte, der Autobahnbrücke, der lange abfallenden Strecke, die in eine Kurve mündet, dem Weg, der links und rechts von Gräben gesäumt wird, in denen man die Kugel nicht wiederfindet, wenn Sie zu gut geboßelt ist. Dann kommt der Kescher, oder wie eingefleischte Boßler wissen, der Kraber, zum Einsatz. Bei jedem Wechsel bedankt man sich beim Schnaps, der vor der Tour durch Jens organisiert wird, beim Gegner mit einem dreifachen „Gut Schoot!“ und das ein oder andere Team hat noch mehr zu sagen bzw. zu singen. Je mehr Wechsel absolviert sind, desto intensiver die Rechnerei und desto größer die Vorfreude auf die Einkehr im Landgasthof Brüers in Munderloh zu Kohl, Bier und Jubi – TRADITION wird hier mal richtig groß geschrieben.
Auf dem letzten Streckenabschnitt sind die Teams dem eisigen Wind ausgesetzt und es geht nochmal voll zur Sache. Schließlich sind alle froh, als der Gasthof erreicht ist. Dort werden noch ein paar Boßellegenden begrüßt, die aus verschiedenen Gründen nicht aktiv boßeln konnten und sich dennoch das Kohlessen und den Boßelorden nicht nehmen lassen wollen.
Die erste Runde geht traditionell auf den Mannschaftskapitän und alles außer Bier und Jubi ist eigentlich verpönt. Es geht Schlag auf Schlag. Heute gibt es Kohl als Buffet, da aufgrund von Personalmangel nicht am Tisch serviert werden kann. Tatsächlich funktioniert auch dies, ebenso wie die Versorgung mit Flüssignahrung, hervorragend. Und dann die Siegerehrung:
Jens Bartnick verliest die Platzierungen – der Autor dieser Zeilen ist mit seinem Team nur vorn, wenn die Tabelle gedreht wird. Die Medaillengewinner sind stolz wie Bolle und wie kann es anders sein, Thomas Mönks hat mit seinem Teamkapitän Alfred Schölles die nächste Goldmedaille abgeräumt. Die nachfolgende Kreuztabelle zeigt die Ergebnisse.
Doch es ist noch lange nicht genug. Das eigentliche Highlight steht nun an – der Boßelorden wird verlesen – akribisch geführt von Andreas Wurster – und auch selbst von ihm vorgetragen.
Die Frischlinge (1 Teilnahme) sind nun Teil eines erlauchten Kreises, und es geht über die Boßler (2-5) zu den Ober- und Meisterboßlern, zu den Urboßlern und Großmeistern – und jeder fiebert darauf hin, eine Kategorie aufzusteigen.
Kalle Warncke schießt den Vogel ab, er hat als Ur-Ur-Großmeister (mehr als 40 Teilnahmen) – 54 Teilnahmen und diese in Folge und ist damit Spitzenreiter – blumig berichtet Kalle, wie er vom 6-Tage Rennen anno 1970 topfit die erste Teilnahme hatte. Und wie könnte es anders sein, mittlerweile ist die Familie gleich dreimal vertreten und Kalle gibt diese tolle Tradition innerhalb der Familie weiter. ( Großvater, Vater und Sohn )
Die Kegelbahn im Landgasthof ist leider zwischenzeitlich geschlossen, so dass am späteren Nachmittag die berühmte Schwarzwälder-Kirsch nur als Extra für die Ritter der Skatrunde serviert wird.
Und damit ist eine weitere Boßeltour der Hermann-Schröder Riege in den Büchern und alle machen sich mit Ihren Abholern oder dem Bus auf den Heimweg und freuen sich schon auf den dritten Sonntag im Januar 2025.
Schön war’s – wie immer.
Christian Lankenau